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Mit Magenkrebs und Osteoporose assoziiertes Enzym über Neutronenkristallographie erstmalig detailliert sichtbar gemacht

•    Das Enzym PKG II ist mit Magenkrebs assoziiert, welcher weltweit 754.000 Todesfälle pro Jahr verursacht  
•    Der Aktivierungsprozess für das Enzym konnte jetzt dank Neutronenkristallographie mit höchster Detailgenauigkeit untersucht werden 
•    Ein besseres Verständnis solcher Mechanismen wird die zukünftige Entwicklung von Medikamenten für Magenkrebs und Osteoporose möglich machen 

Grenoble, 23. Mai 2018 - Das Enzym PKG II (Proteinkinase G II – eine zyklische, von Guanosinmonophosphat abhängige Kinase) spielt eine wichtige Rolle für die menschliche Gesundheit, aber es kann das Risiko von Erkrankungen wie Magenkrebs oder Osteoporose steigern, wenn es nicht aktiviert wird. Magenkrebs führt jedes Jahr zu 754.000 Todesfällen weltweit  und Osteoporose, die Knochenschwächungen verursacht, betrifft über 200 Millionen Menschen auf der ganzen Welt . Forscher wollen daher verstehen, wie dieses Enzym mit bekannten Aktivatoren interagiert, um die Entwicklung zukünftiger Medikamente und Behandlungen zu ermöglichen.

Im Rahmen dieser Untersuchungen konnten Forscher jetzt zeigen, dass Neutronenkristallographie eine praktikable Methode ist, um Einblicke in diesen Prozess zu gewinnen, indem sie die Technik erstmalig einsetzten, um das Enzym PKG II in Aktion zu beobachten.

Wie von einem globalen Gemeinschaftsprojekt in der Zeitschrift Biochemistry veröffentlicht, wurden Kristalle, die Wissenschaftler des US-Energieministeriums im Oak Ridge National Laboratory (ORNL) in Tennessee, USA mit vom Baylor College of Medicine in Texas, USA, bereitgestelltem PKG II-Protein züchteten, am Institut Laue-Langevin (ILL) in Grenoble, Frankreich analysiert. 

Dank des LADI-III Instruments am ILL – welches hochauflösende Beugungsdaten von sehr kleinen Kristallen erfassen kann – und dem IMAGINE-Instrument am ORNL konnten Forscher die Wasserstoffbindungs-Interaktionen bei der Aktivierung von PKG II genau auswerten. Dies macht den Weg frei für eine detaillierte Untersuchung der Aktivierungsmechanismen, die dazu beitragen könnten, Magenkrebs und Osteoporose in Zukunft zu verhindern. Dies wiederum wird Wissenschaftlern helfen, neue Routen für die Entwicklung von Medikamenten zur künftigen Behandlung solcher Krankheiten zu identifizieren.
Die Ergebnisse der Studie sind deshalb besonders überzeugend, weil die Neutronenkristallographie es möglich macht, die Funktion von PKG II bei Raumtemperatur zu untersuchen. Proben müssen normalerweise bei der Verwendung von Röntgenkristallographie auf kryogene Temperaturen abgekühlt werden (typischerweise 100 Kelvin, also -173 °C), was die Struktur der Enzyme verändern kann. Dies macht es schwieriger, die Aktivierungsmechanismen und die Katalyse – d. h. den Prozess, der die Geschwindigkeit von chemischen Reaktionen im Körper steuert – mit Sicherheit zu beschreiben.
Diese Arbeit hat auch Licht auf die Beziehungen geworfen, die die Enzymaktivierung beeinflussen, mit Implikationen über PKG II hinaus für andere Proteinkinasen wie Proteinkinase A (PKA), die mit Krebserkrankungen assoziiert wird. Eine vergleichende Analyse der Backbone-Austauschmuster von Wasserstoff und Deuterium in PKG II und zuvor berichtete PKG I-Strukturen (siehe Biochemistry 2014 ) legen es nahe, dass die Wirksamkeit eines Aktivators von seiner Fähigkeit abhängt, die Gesamtdynamik von Proteinen effizient herabzusetzen. Obwohl weitere Studien erforderlich sind, um zu ermitteln, wie leistungsfähig Aktivatoren sein müssen, um am stärksten zu binden, werden die Ergebnisse, sofern bestätigt, von großer Bedeutung für die zukünftige Entwicklung von Medikamenten für einer Reihe von Erkrankungen sein – vor allem, wenn man bedenkt, dass rund zwei Prozent aller menschlichen Gene für Proteinkinasen kodieren und dass über die Hälfte davon mit verschiedenen Krankheiten wie Krebs und Diabetes assoziiert sind. 


Matthew Blakeley, LADI-III Instrumentwissenschaftler am Institut Laue-Langevin (ILL) und Mitverfasser der Studie, erklärt: „Mit Neutronenkristallographie können wir die Positionen von Wasserstoffatomen ermitteln. Dies liefert uns wichtige Informationen über die Wasserstoffbindungs-Interaktionen zwischen kleinen Medikamentmolekülen und ihren Proteinzielen. Darüber hinaus bietet uns die Fähigkeit, über Neutronen zwischen Wasserstoff und Deuterium zu unterscheiden, Einblicke in die Bindungsdynamik der Protein-Medikament-Komplexe, was für die Wirksamkeit der Aktivatoren für PKG I und PKG II von entscheidender Bedeutung sein könnte.“

Andrey Kovalevsky, IMAGINE-Wissenschaftler am Oak Ridge National Laboratory und leitender Mitverfasser der Studie, sagt: „Es ist fantastisch, dass wir die Übermittlung von Informationen am PKG II-Protein während der Aktivierung beobachten konnten. Dies trägt dazu bei, zu bestimmen, warum gewisse kleine Moleküle das Enzym besser aktivieren als andere. Dieses Wissen wird einen großen Einfluss auf unser Verständnis verschiedener Krankheiten haben und uns helfen, die Medikamente und Behandlungsformen der Zukunft zu entwickeln.“ 

Professor Choel Kim, Außerordentlicher Professor am Baylor College of Medicine und Mitverfasser der Studie, fügt hinzu: „Für ein Verständnis der PKG-Signalisierung und zellulärer Funktionen benötigen wir stark selektive und hochwirksame Inhibitoren und Aktivatoren, aber solche chemischen Werkzeuge sind gegenwärtig noch nicht verfügbar. Das Verbessern der Selektivität und Wirksamkeit bekannter Verbindungen und das Identifizieren neuer Effektormoleküle ist eine naheliegende Strategie, um dieser Herausforderung zu begegnen, aber dazu müssen wir verstehen, wie diese Verbindungen auf molekularer Ebene mit verschiedenen funktionalen Domänen von PKG interagieren. Die hier präsentierte Neutronenstruktur zeigt PKG II-Aktivatorinteraktionen mit einem nie dagewesenen Detailreichtum und sie kann daher als solider Ausgangspunkt für die rationale Gestaltung von selektiven PKG II-Aktivatoren verwendet werden.“ 


Re.: Biochemistry, Neutron Crystallography Detects Differences in Protein Dynamics: Structure of the PKG II C. 
doi:10.1021/acs.biochem.8b00010


Contact: Matthew Blakeley, ILL


Hinweise für Redakteure:

Der Neutronenbeugungs-Datenbestand wurde am Institut Laue-Langevin (ILL) unter Verwendung des LADI-III Instruments erfasst, nachdem das Oak Ridge National Laboratory (ORNL) mit dem IMAGINE-Instrument vorläufige Testdaten gesammelt hatte.

  • LADI-III ist ein Quasi-Laue-Neutronendiffraktometer für hochauflösende Einzelkristalluntersuchungen biologischer Makromoleküle (1,3 - 2.5 Å), um einzelne Wasserstoff- oder Deuteriumatome von besonderem Interesse, Wasserstrukturen oder andere kleine Moleküle zu finden, die mit Deuterium gekennzeichnet werden können, um sie besonders sichtbar zu machen. Daten können bei Kristallvolumen von ~0,05 bis 0,5 mm3 für Proben mit Einheits-Zellenkanten von 50 bis 150 Å erfasst werden. Nähere Informationen finden Sie hier: https://www.ill.eu/ladi-iii
  • IMAGINE ist ein hochmodernes Neutronbildplatten-Einzelkristall-Diffraktometer mit atomarer Auflösung, das Informationen zu anorganischen, organischen, metallo-organischen und makromolekularen Einzelkristallen bietet, um deren chemische, physikalische und biologische Struktur und Funktion zu verstehen. IMAGINE liefert Daten für Wissenschaftler, die in Bereichen wie Pharmazeutik, Mineralien und Materialien, kleine Moleküle, molekulare organo-metallische Komplexe und metallo-organische Frameworks tätig sind. Es ermöglicht das Erfassen der Neutronenkristallstruktur von Oligo-Nukleotiden und Proteinen bei annähernd atomaren oder atomaren Auflösungen (1,4 Å). Nähere Informationen finden Sie hier: https://neutrons.ornl.gov/imagine

Über ILL – Das Institut Laue-Langevin (ILL) ist ein internationales Forschungszentrum in Grenoble, Frankreich. Es ist seit fast 40 Jahren weltweit führend auf dem Gebiet der Neutronenstreuung, seit erste Experimente im Jahre 1972 begannen. ILL betreibt eine der intensivsten Neutronenquellen der Welt. Diese liefert Neutronenstrahlen an eine Suite von 40 Hochleistungsinstrumenten, die ständig auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden. Jedes Jahr besuchen 1.200 Forscher aus über 40 Ländern das ILL, um Untersuchungen in Feldern wie der Festkörperphysik, (ökologischen) Chemie, Biologie, Kernphysik und in den Materialwissenschaften durchzuführen. Frankreich, Deutschland und Großbritannien sind Partner und wesentliche Geldgeber des ILL.

Über ORNL – Das Oak Ridge National Laboratory (ORNL) betreibt zwei Neutronenquellen: den High Flux Isotope Reactor (Hochfluss-Isotopenreaktor) und die Spallation Neutron Source (Spallations-Neutronenquelle). ORNL wurde vom Office of Basic Energy Sciences (BES) des US-Energieministeriums (DOE) gebaut und es wird von diesem finanziert. In zwei getrennten Anlagen verfügt das Labor über 30 Neutronenstreuungs-Instrumente, die Wissenschaftlern unübertroffene Ressourcen für das Verständnis von Struktur und Eigenschaften von Materialien, makromolekularen und biologischen Systemen und der grundlegenden Physik von Neutronen bereitstellen. Mehr als 1.200 verschiedene Benutzer aus der ganzen Welt verwenden jährlich die Neutronenquellen von ORNL. ORNL wird von UT-Battelle für das DOE betrieben und verwaltet. Für nähere Informationen besuchen Sie http://science.energy.gov